21. ÜBELAUGE

Übelauge

Ein Märchen vom Blindsein

(Die Ebene von Ur)

vor 1000 Jahren

von Hanno Erdwein

(Wer den "Gläsernen Turm und das Grimmige, Gerechte Zauberhorn " gelesen hat, weiß , die Story spielt in der ursprünglichen Zeitline,

in der Ursatan das Würfelversum nicht veränderte, doch in dem Universum mit Ursatan,

dürften Hans' Erlebnisse ähnlich gewesen sein, der Unterschied war nur, dass er im Reich der Hexentochter wohl auch in der Nähe Ursatans war,

das Ende von Morgus dagegen war genauso)

Wer wissen will wie Ursatan vernichtet wurde möge " Prinzessin Nordwinds und Liangs kühne Zeitreise auf https://wuerfelwelt.twoday.net lesen.

Die Story wird aber, wenn alles planmäßig läuft, auch hier noch veröffentlicht werden.

*

Vor langer, langer Zeit, als es noch nicht so viel Lärm auf

der Ebene von Ur gab und es so still war,

daß man sich sogar länger mit den Vögeln unterhielt,

als die Menschen noch Zeit hatten,

sich den kleinen Dingen zu widmen,

als die Liebenswürdigkeit

noch selbstverständlich war,

lebte in einer Fischerhütte

Hans,

ein nicht ganz fünfzehnjähriger Junge.

Er und seine

Eltern ernährten sich recht und schlecht vom Fischfang.

Der

Vater fuhr jeden Morgen auf's Meer hinaus.

Die Mutter

wirtschaftete emsig im kleinen Haus, bis es blitzte.

Und

Hans - tja, der saß den ganzen Tag in den Sonnen und lauschte

dem Gesang der Vögel.

Ihr fragt euch mit Recht, weshalb er

nicht dem Vater beim Fischen oder der Mutter beim

Reinemachen geholfen hat.

Die Antwort ist: Hans war blind.

Oft kam ein etwa gleichaltriges Mädchen vorbei und leistete

Hans Gesellschaft.

Grete, die Tochter des Nachbarn. Dann

saßen die beiden auf einer Klippe und Grete erzählte dem

Hans, was sie sah.

Und das machte sie so gut, daß sich der

Junge alles lebhaft vorstellen konnte.

Grete hatte ihren

Hans schon lange lieb gewonnen.

Und Hans ging es ebenso,

obschon er ihren Liebreiz nicht sehen konnte.

Grete war überaus schön.

Eines Tages nun saß Hans vor dem Haus auf der Bank und seufzte:

"Ach könnte ich doch nur mal einen kurzen Moment meine liebe

Grete ansehen!"

"Dummkopf!", krächzte es da vom Dach herab.

"Wer spricht zu mir?"

"Ich natürlich. Der Rabe Corvus."

"Warum bin ich ein Dummkopf, wenn ich mir für kurze Zeit

gesunde Augen wünsche?"

"Weil du mit wenig Mühe für immer sehen könntest."

"Das wäre schön. Und wie stell ich das an?"

"Schwing Dich auf die Füße und geh nordwärts zur Hexe Morgus

Nachtgewand. Die hat noch ganz andere Dinge fertiggebracht,

als so ein paar dumme Augen zu reparieren.

Das ist wahr und eine gute Idee!"

"Wird sich rausstellen, ob es eine so gute Idee ist."

Hans schüttelte den Zweifel ab und sprang sogleich auf,

bedankte sich voll Überschwang bei dem Vogel.

"Ich lauf sofort los."

"Nicht so hastig. Die Sache will überlegt sein. Morgus macht das

nicht umsonst."

"Ich geb alles hin, was ich hab, wenn ich dafür endlich

sehen kann."

"Wie du willst. Aber beklag Dich dann nicht."

**

Corvus flog davon und Hans lief zu seiner Mutter.

Erzählte

auch Grete von dem Vorhaben und konnte es nicht erwarten,

bis am Mittag der Vater nach Hause kam.

Sie alle hatten

große Bedenken.

Aber die konnten sie Hans nicht vermitteln,

der mit Feuereifer seine Reise vorbereitete und sich schon

mal einen soliden Stecken schnitt.

"Bist du nicht zufrieden, meine glatte Haut zu spüren, mein

weiches Haar und den Samt meiner Lippen, wenn wir uns küssen?"

Grete weinte, weil sie ein großes Unglück voraus ahnte.

"Ich werde dich noch tausendmal mehr lieben, wenn ich dich

endlich sehen kann", versicherte er ihr.

Darauf drückte Hans ein letztes Mal sein Mädel fest an sich.

"Ich komme mit", entschied sich Grete und wandte sich, um

Vorbereitungen für die Reise zu treffen.

"Geht nicht." Hans hielt sie am Arm fest.

"Warum nicht?"

"Ein altes Gesetz der Hexen und Zauberer. Man darf denen nur

alleine unter die Augen treten."

Grete wußte das. Sie hatte selbst genug magisches Wissen von

ihrer Großmutter geerbt. Wollte aber dreist dem Verbot zuwider

handeln.

"Bitte, liebes Mädel", bat Hans, "bleib hier und bring uns nicht

in Gefahr!"

Traurig ging sie davon und Hans tastete sich auf den Weg .

***

"He! Paß auf, wo du hintrittst!"

Die Stimme kam von unten.

Hans hielt an und lauschte.

"Hier bin ich, Schwachkopf!"

"Wo hier?"

"Vor deinen Füßen. Noch einen Schritt und du hättest mein

Häuschen zertreten."

"Also bist du eine Schnecke."

"Was denn sonst, Blödian."

"Nicht so unfreundlich. Schließlich bin ich blind und wußte

nicht, daß du dich auf meinem Pfad befindest."

Jetzt tat der Schnecke ihre Grobheit leid.

"Verzeihung,

das hatte ich nicht gesehen. du kamst so

dahergebraust, als hättest du gute Augen."

"Ich hab es auch furchtbar eilig."

"So? Wohin des Wegs, Kamerad?"

" Zur Hexe Morgus. Die soll mich von meiner Blindheit

heilen."

"Tststs - hast du dir überlegt, worauf du Dich da einläßt?"

"Klar, hab ich. Ich will um alles in der Welt sehen können."

"Wir möchten so manches, was uns dann, wenn wir es haben, nur

schadet."

"Dummes Geschwätz! Ein klarer Blick hat noch niemandem Übles

gebracht."

"Da wär ich mir nicht so sicher. Wer hat dir denn den Floh ins

Ohr gesetzt?"

"Rabe Corvus."

"Ach der. Dachte es mir. Morgus dunkler Bote. Dieses

schwarze Federvieh ist an so manchem Elend schuld."

Seufzen.

"Wenn ich es könnte, würde ich dir abraten. Aber ich sehe,

daß du schon total verblendet bist."

Damit kroch die Schnecke aus dem Weg und gab Hans den Pfad frei.

Nach einer weiteren, recht langen und mühseligen Wegstrecke

flog mit einem Mal ein Vogel über Hans' Haupt dahin, pfiff

ein lustiges Lied und zog immer engere Kreise.

Der Junge

blieb stehen und fragte:

"Munterer Sänger, wer bist du?"

"Der Martinsvogel. Ich diene dem Gott Martin."

"Aha? Ich bin am Martinstag geboren."

"Das weiß ich. Deshalb hab ich auf dich aufzupassen."

"Unsinn! Auf mich braucht niemand achtzugeben. Ich bin groß

und stark und werde mit jedem Tag kräftiger."

In der Tat war Hans seit seinem Aufbruch mächtig gewachsen

und hatte breite Schultern bekommen. Auf den am Weg

liegenden Gehöften fand er überall bereitwillig Unterschlupf

und man fütterte ihn tüchtig heraus.

Allerdings verschwieg

er sorglich, wohin seine Reise ging. Man hätte ihn dann wohl

weniger freundlich aufgenommen.

"Ich mach mir ernsthaft Sorgen um dich", flötete der Vogel.

"Das brauchst du nicht. Ich weiß, was ich tue."

"Davon bin ich nicht überzeugt. Kennst du die Macht der Morgus?"

"Pah - ein Weib!"

"Aber was für eins! Sie hat alle Tricks der schwarzen Magie

drauf, die man sich vorstellen kann."

"Wenn schon. Mich macht sie so rasch nicht kirre."

"Hans - du überschätzt dich gewaltig. Ein Wink von ihrem kleinen

Finger verwandelt dich in ein bibberndes Häufchen Elend."

"Abwarten. Ich laß mich durch solch ein Gerede nicht

einschüchtern."

"Wie du willst. Ich werde dir folgen und dich nicht aus dem

Auge lassen."

"Ist zwar nicht nötig. Aber wenn du es unbedingt möchtest,

dann mag ich dich nicht hindern."

Hans zog mehr als zwei Tage an der Küste entlang.

Es wurde kalt und

immer kälter, je näher er dem finsteren Reich der Hexe kam.

Aber

das focht ihn nicht an. Es wärmte ihn der Gedanke, sich

bald an der strahlenden Schönheit seiner Grete erfreuen zu

können.

Doch er fühlte ein seltsames Grauen, als er im Land der Hexe Morgus ankam.

****

Die Schreckliche

wohnte in einem Eispalast voller lebloser Menschen und

Tiere; denn alles, was ihr ungebeten vor Augen kam, mußte zu

Kristall erstarren.

"Sieh an! du willst also zu mir", empfing ihn Morgus mit

falschem Lächeln. Sie war über die Einzelheiten durch ihren

Raben gut unterrichtet, ließ sich aber nichts anmerken.

Hans

schüttete vor ihr sein Herz aus. Morgus stellte sich so, als sei

sie von seinem Schicksal ergriffen.

"Das ist aber schlimm! Was machen wir denn da? Hm, ich werde

mal darüber nachdenken." Ließ ihn stehen und ging, eine

ausgemachte Teufelei vorbereiten.

Nach einer guten Stunde kam sie strahlend, aber voller

Zynismus zurück:

"Ich kann dir helfen!"

"Ja?", freute sich der Ahnungslose.

"Aber es kostet ein wenig."

Hans rutschte das Herz in die Hose: "Geld hab ich leider keines."

"Wer redet hier von Mammon? Was ich von dir verlange ist nur

ein ganz klein wenig von deinem Körper."

Die Miene des Jungen Mannes hellte sich sichtlich auf:

"Nimm, was du brauchen kannst. Ich geb alles hin, wenn ich

dafür den klaren Blick bekomme."

"Das wirst du", erwiderte die Hexe hinterhältig.

"Was verlangst du denn?"

"Nicht viel. Nur das vordere Glied deines linken kleinen

Fingers."

"Das kannst du gerne haben. Zwei gesunde Augen sind mir mehr

wert."

Nun war das Zauberweib am Ziel.

Hans wußte nicht, welche

Macht gerade im ersten Stück eines jeden kleinen Fingers

verborgen ist.

Und zudem hat der linke die meisten Kräfte.

Arglos reichte er der Hexe die Hand und sie trennte mit

einer Rabenfeder das Glied ohne Blutvergießen ab.

Durch

seinen Leib lief ein Ruck, als spüre er ein starkes

Erdbeben.

Danach war ihm merkwürdig leicht im Kopf.

"Mach deine Augen auf", befahl Morgus.

Berührte mit der

gleichen Feder sacht die Ränder seiner Lider.

"Was siehst du?"

"Ich sehe Nacht und viele helle Punkte darin."

"Gut. Es ist gelungen. Die hellen Punkte sind die Sterne. Nun

aber schau mich an."

"Du bist blendend schön, oh Zauberin."

"Schön?", lachte die mokant, "da solltest du erst mal meine

Tochter Marguth sehen, die ganz im Süden wohnt."

"Ja, das möchte ich gern", rief Hans begeistert, der von

einem Augenblick zum andern seine Grete vergessen hatte.

Dafür konnte er nicht genug die Augen in der für ihn neuen Welt

herumwandern lassen.

"Ich sende dich zu ihr. Du wirst ihr willkommen sein. Solch einen

prachtvollen und tüchtigen Mann kann sie immer gebrauchen."

"Ja,", jubelte Hans, "ich will nach Süden und Marguth

besuchen. Denn nun habe ich gute Augen und mag mir endlich

alles ansehen, was schön und lieblich ist."

Morgus schnippte mit den Fingern und der Rabe kam auf ihre

Schulter geflogen.

"Mach dich auf, Corvus, und melde meiner Tochter, daß ich ihr

einen starken Burschen sende."

"Schon unterwegs", krächzte Corvus und warf einen

bedauernden Blick auf Hans.

****

Ihm tat bereits leid, was er

durch seinen Rat angerichtet hatte.

Hans zog ebenfalls los.

Seelenlose Augen können zwar sehen,

aber sie geben alles

verzerrt wieder, was sie erblicken. Und das ist verderblich

für den, der durch sie die Welt erfährt.

Es gibt nichts,

woran er sich erwärmen, erfreuen kann.

Morgus Zauberbann hatte das Opfer fest im Griff. Wie auf

einer Flöte blies die Hexe ihren Willen durch jenes kurze

Fingerglied, das sie so leicht erbeutet hatte.

Hans kam auf dem Weg nach Süden durch gleiche Dörfer und

Gemarkungen wie auf dem Hinweg.

Diejenigen, welche ihm zuvor

mit Speise, Trank und guten Worten die Reise ermöglicht

hatten, empfingen nun von ihm lauter Grobheiten und

Gewalttat.

Er nahm sich, was er brauchte und prügelte sich

seinen Weg frei.

Ihm ging bald der Ruf voraus:

"Versteckt euch. Da kommt

Übelauge!"

Denn Hans hatte einen eiskalten und gemeinen

Blick, bei dem einem das Blut in den Adern gefror.

Man warf

ihm freiwillig alles vor die Füße, was er fluchend forderte

und nahm schleunigst Reißaus.

"Hans, was hat man dir angetan?", weinte über ihm sein

Martinsvogel.

"Mach dich weg, du lausiges Federvieh!", rief der und

schleuderte einen Stein nach ihm, der den guten Vogel nur um

Haaresbreite verfehlte.

"Ich werde dir dennoch folgen, du armer Mensch."

"Laß dich ja nicht mehr sehen!"

Auch die Schnecke sah Hans daherstürmen.

"Hast du nun deinen klaren Blick, dummer Hans?!"

"Aus dem Weg, widerlicher Schleimer, sonst zerquetsch ich

dich."

"Wahrhaft freundliche Menschen entläßt die Morgus", brummte sie

und verzog sich eilig in ihr Haus.

Dann aber kam ihm Grete entgegen gelaufen:

"Liebster! Bist du wieder zurück!"

Sie hatte zwar von der schlimmen Verwandlung ihres Hans gehört,

mochte das aber nicht glauben.

Mit ausgebreiteten Armen empfing

sie ihn.

"Hau ab, gemeine Dirne!"

"Ich bin es, deine Grete!"

"Fort sag ich. Kenne dich liederliches Weib nicht. Gib die

Straße frei, damit ich bald zu meiner Marguth komme."

"Du kennst deine Grete nicht mehr?", weinte sie und fiel ihm

vor die Füße.

Er aber trat nach ihr und stürmte,

Gemeinheiten rufend, vorüber.

Lassen wir den heillosen Menschen nach Süden rasen.

Er wird

noch eine gute Weile unterwegs sein. Schauen wir lieber, was

Grete unternimmt, ihren Liebsten zu retten.

Denn das will

sie mit aller Kraft ihres Herzens. .

Erst einmal war sie, wie wir uns denken können,

todunglücklich, ihren Freund derart verändert zu finden.

Dann

aber wischte sie die Tränen ab und besuchte das Grab ihrer

Großmutter.

Unter dem schattigen Birkenbaum hatte sie oft

gesessen und in Zwiesprache mit der Ahnfrau die großen und

kleinen Schicksalsschläge verarbeitet.

Nach einer Weile des Stillsitzens rauschte es wieder in der Krone

des Baums.

"Meine liebe Grete. Wie ich sehe, bedrückt dich ein großer

Kummer."

"Großmutter hilf mir. Gib Rat, was ich tun soll."

"Besinne dich auf das, was du gelernt hast. Du bist alt genug,

die Kräfte der weißen Magie in dir zu wecken."

"Morgus ist viel, viel stärker, als ich je sein kann."

"Du hast ein reines Herz - und was noch wichtiger ist - eine

große Liebe. Sie allein sollte ihre dunklen Kräfte

besiegen."

Grete schluckte tapfer die Tränen hinunter und gewann

Zuversicht.

"Martinsvogel", rief sie dann.

Und der Weggefährte ihres

Hans kehrte zu ihr zurück.

"Bleib du hier. Ich werde in deiner Gestalt und an deiner

Stelle nach Süden fliegen."

*****

Hans erreichte nach gut einem Monat sein Ziel.

Man kann sich

die gewaltigen Schritte vorstellen, die er bei seinem

Dahinrasen gemacht hatte.

Auch bemerkte er nicht, daß, je

weiter er nach Süden kam, die Welt immer lauter und

unmenschlicher wurde.

Keine Bäume, Wiesen und lauschigen

Bäche, an denen man sich erholen konnte.

Überall dröhnten

Maschinen, ratterten Transportwagen vorüber und stampften

Bohrmeißel die Erde auf.

Und wenn nachts der Arbeitslärm

verstummte, hämmerten einem wüste Musikrhythmen die Ohren

voll. Dann tanzte Marguth mit ihren Sklaven zum Schein des

nie erlöschenden Hexenfeuers.

So also empfing ihn das Reich der Morgus-Tochter.

"Kommst du endlich?", wurde er auch gleich von Marguth

angeschnauzt, die sich aus gutem Grund stets in einer

Nebelwolke verbarg.

"Hast dir ja arg viel Zeit gelassen."

"Im Gegenteil", wehrte sich Hans.

"Ich bin so rasch wie möglich

hierher geeilt."

"Widersprich nicht, Sklave!"

Dabei rührte sie ihn tückisch

mit einem Hyänenknochen an.

Die Glieder des jungen Mannes

gehorschten ihm nicht mehr, sondern folgten von nun an nur

noch Marguths Willen.

"Los, los! An die Arbeit! Die Zeit des Faulenzens ist vorüber!"

Für längere Zeit verlieren wir Hans aus den Augen.

Er

verrichtete niedrigste Sklavendienste bei seiner neuen

Herrin, die er nicht einmal Muße hatte, in Augenschein zu

nehmen.

Hätte er dazu Zeit und Gelegenheit gehabt, wäre ihm

schon aufgefallen, wie sehr er betrogen wurde.

Marguth war

von kleiner Gestalt und mit ihrer schuppigen Haut glich sie eher

einem zweibeinigen Reptil.

Sie war die Frucht einer flüchtigen

Liebschaft zwischen Morgus und dem im Meer hausenden

Wasserkobold Asperagus.

Lange brauchte Grete, die schreckliche Situation

auszukundschaften, in der sich ihr Hans befand. Sie flog

umher, immer unter der Gefahr, von der wachsamen Marguth

entlarvt zu werden.

"Los!", kreischte das Unweib.

"Such Würmer und kau sie mir zu

Brei. Ich brauch Kraft für den Hexensabatt!"

Schlug immerfort auf

Hans ein, dessen bloßer Rücken schon ganz zerfurcht war.

Das Niedrigste und Unwürdigste war dieser Sadistin gerade recht,

die sich am Elend mästete wie andere an feiner Speise.

Aber es gab Stunden, an welchen Marguth nicht so sehr auf

alles achten konte.

Die nutzte Grete, einen Rettungsplan

auszuhecken.

So mußte ihr Freund einmal täglich im Meer die verkotete

und verdreckte Leibwäsche seiner Herrin waschen.

Das tat er

mit stoischem Gleichmut.

Ihn band nach wie vor die

Zauberlähmung.

"Hans! Hörst du mich?"

Grete flog in Vogelgestalt dicht über ihm hin.

Aber er

reagierte nicht.

"Da muß ich nachhelfen", dachte sie.

Eilte zu einem Tümpel in der

Nähe, der schon viele ihrer Tränen aufgenommen hatte und tauchte

die Flügelhand hinein.

Tränen, das weiß man, haben einen

ganz besonders starken Zauber.

Mit der nassen Schwinge strich sie

Hans über's Haupt.

"Bist du es, Martinsvogel?"

Endlich sah er hoch. Und der

tieftraurige Blick, schnitt Grete mächtig ins Herz.

"Ich will dir helfen", zwitscherte sie nah an seinem Ohr.

"Mir kann niemand helfen. Ich wünschte, ich wäre tot."

"Du sollst, du wirst leben! Es gibt Menschen, die dringend

wünschen, daß du zurückkehrst."

"Ich hab alles falsch gemacht. Darf gar nicht daran denken, wen

ich mit meiner Grobheit verletzt hab."

"Da warst du verzaubert. Und das bist du auch jetzt noch.

Willst du, daß ich dir helfe?"

"Ist das denn möglich? Kann ich aus dieser Gefangenschaft

loskommen?"

"Du kannst. Aber wir müssen uns beeilen!"

"Hilf mir! Ich will alles tun."

Sie brachte ihn zum Tümpel, der ihre Tränen enthielt.

"Tauch dort hinein."

"Ich darf das nicht"

"Mach rasch, bevor das Hexenweib was merkt."

"Und glaubst du, das hilft?"

"Schnell. Der Nebel wird dichter. Ein Zeichen, daß Marguth wach

wird."

Endlich tauchte Hans den Kopf in das Naß.

Die magischen

Fesseln fielen von ihm ab. Er reckte die Glieder und

schüttelte seine Fäuste:

"Nun werde ich dieses Drecksstück von Marguth zerquetschen!"

"Mach keinen Unsinn", warnte Grete und umflatterte nervös sein

Gesicht.

"Dafür ist keine Zeit. Lauf so rasch du kannst nach

Norden."

Unwillig folgte er. Und das war klug.

Denn kaum hatten sie

den lärmenden Einflußbereich der Hexentochter verlassen,

merkte die den Verlust und sandte etliche Bannflüche hinter

Hans her, die aber wirkungslos an der Grenze abprallten.

Die Welt wurde still.

Ab und an schon ein zaghafter

Vogellaut, wo wieder das Grün der Erde entsproß.

Das tat

Augen und Ohren wohl.

"Ich sehe alles so häßlich verzerrt", klagte Hans.

"Die Dinge

erscheinen mir wenig freundlich und reizvoll."

"Das liegt daran, daß dich die Morgus sehend gemacht hat. Du bist

noch in ihrem Bann."

"Wie komme ich da je wieder raus?"

"Du bist nicht allein. Ich helfe dir."

"Du und mir helfen, kleiner schwacher Martinsvogel!"

"Habe ich dich nicht aus Marguths Macht befreit."

"Schon. Aber Morgus ist unendlich viel stärker."

"Abwarten!"

Sie eilten nach Norden. Wieder sahen die Leute den wilden Hans

daherstürmen und warfen ihm ängstlich Nahrungsmittel vor die

Füße.

"Sorgt euch nicht, liebe Leute!", pfiff Grete in Gestalt des

Vogels den Fliehenden nach.

. "Hans ist nicht mehr wild und

wird bald wieder der sein, der er mal war."

Skeptisch blieben sie stehen und betrachteten scheu den

riesenhaften Kerl, der langbeinig dahinschritt.

"Dort ist unsere Hütte", rief Hans begeistert.

"Vater und Mutter

schauen aus dem Fenster. Aber ich sehe Grete nicht."

"Sie trauert um dich und will dir erst begegnen, wenn du

wieder der alte sein wirst."

"Das will ich!", schrie er voll Schmerz in der Brust und stürmte

um so heftiger vorwärts.

"Der Tollkopf tritt mich eines Tages noch tot", maulte die

Schnecke.

"Hast du immer noch nicht genug von dem Hexenweib und

willst wieder zu ihr?"

"Muß doch mein altes Ich zurückbekommen."

"Dummer Mensch du! Weshalb hast du es auch abgegeben"

Sie kroch stöhnend aus dem Weg und winkte ihm mit den Hörnchen

einen Segen hinterdrein.

Eigentlich war sie ein gutmütiges, wenn

auch mürrisches Tier.

Auf dem letzten Stück gesellte sich Corvus zu ihnen.

"Ich bin an allem schuld", krächzte er kleinlaut.

"Hätt ich

dir nicht zu der Fahrt geraten, wärst du heute ein

glücklicher Mensch."

"Er wird es wieder sein", zwitscherte der vermeintliche

Martinsvogel zuversichtlich.

"Meinst du wirklich", zweifelte der Rabe.

"Wir werden ja sehen."

Damit ging es weiter. Endlich waren sie angelangt. Kälte

umgab sie.

Unter klirrendem Frost war die Welt erstarrt.

*****

"Was willst du, Sklave meiner Tochter? Marsch! Kehr um und tu

deine Pflicht!"

Morgus schnaubte vor Wut und hob schon das

Fingerknöchlein, um hineinzublasen.

Heimlich winkte Corvus dem vermeintlichen Martinsvogel zu.

Sobald nun der Rabe die Hexe umflatterte und nach ihrer Hand

hackte, worauf Morgus das Knöchlein fallen ließ und erbost

nach Corvus schlug, flog Grete auf und ließ eine Träne nach

der anderen auf die Zauberin herabtropfen.

"Äh, widerlich!", kreischte die. "Tränen voll ätzender Liebe!"

Unter Schmerzen sprang sie umher und haschte bald nach dem Raben,

bald nach Grete, die fortfuhr, Morgus mit dem Naß ihrer Augen zu

treffen.

"Aufhören! Aufhören! Ich verbrenne!"

Aber es hörte nicht auf. Schon knisterte es im ewigen Eis

ringsum.

Auch wurde es spürbar wärmer.

Die Zauberin lag am

Boden und wälzte sich wimmernd in der inzwischen reichlich

herabströmenden Tränenflut.

Die einst so große und mächtige

Hexe schrumpfte und wurde von Augenblick zu Augenblick

kleiner und schwächer.

Auch die Umgebung verwandelte sich.

Tauwetter herrschte und bald sproß Frühlingsgrün. Vögel und

andere Tiere lösten sich aus ihrer Erstarrung. Der Fuchs

strich vorüber und ein geweihtragender Hirsch blieb stehen

und sah freudig zu, wie die Macht der Morgus immer weiter

dahinschwand. Zuletzt aber regten sich die verwandelten

Menschen aus ihrer Verzauberung. Dankten für ihr Erlöstsein

und zogen lachend und singend heimwärts.

"Gleich ist es geschafft!", seufzte Grete.

Ihre großen Augen

entließen Träne um Träne .

Von der Zauberin war nur noch ein

Klumpen, dann endlich ein kleines Aschehäufchen übrig.

Mehr Tiere

kamen und gruben diesen Rest ihrer Unterdrückung tief in den

Boden.

"Gott sei es gedankt! Die Hexe ist fort", murmelte Hans.

"Aber ich sehe immer noch alles verzerrt."

Corvus setzte

sich auf seine Schulter:

"Tja, mein Lieber. Du hast nun die

Wahl. Entweder wirst du das verzerrte Sehen behalten oder

blind sein wie damals."

"Lieber blind sein", stöhnte Hans.

"Das Sehen ist mir inzwischen derart verhaßt wie diese

widerliche Hexe!"

Wischte sich über die augen, um die

Zerrbilder loszuwerden, die aber nicht zu entfernen

waren.

"Ein weiser Entschluß! Mach die Augen auf. Ich werde deine Lider

mit meiner Schwinge berühren."

So wurde Hans wieder, was er einst war. Sein Blick trübte

sich ein, erlosch ganz.

Dann spürte er, wie etwas sanft

seine Hand berührte.

"Halt still. Ich will dir dein Fingerglied wieder ansetzen."

Grete umflatterte ihn einige Male. Dann war auch das geschafft.

"Und nun nach Hause!", rief der junge Mann froh.

"Ich will

endlich wieder mein Mädel in die Arme schließen können."

"Das sollst du auch", krächzten und zwitscherten die beiden

treuen Vögel gleichzeitig.

*******

Der Weg kam ihnen kürzer vor. Wärmende Sonne, freundliche

Tiere und Menschen begleiteten sie.

Auch kam Nachricht aus

dem Süden, daß dort die Macht der Marguth gebrochen war.

Die

Unholdin sei in die Wüste entflohen, hieß es. Alle Sklaven

waren frei und zerstörten in ihrer Wut die Lärmmaschinen,

deren Trümmer nun langsam vor sich hin rosteten. Jubel war

rings im Land.

Und überall, wo sie hinkamen, wurde ein

Freudenfest gefeiert.

"Ich seh schon dein Haus", krächzte Corvus.

"Dann werd ich vorausfliegen, um deine Eltern

vorzubereiten", zwitscherte Grete.

Aber sie wollte ihn in

ihrer wahren Gestalt empfangen und verbarg sich im Haus

ihrer Eltern.

"Da bist du ja wieder", räusperte sich die Schnecke zufrieden.

"Alles ist, wie es war. Weshalb dann die lange Reise?"

"Das verstehst du nicht", antwortete der Rabe rasch.

"Aus einem Schneckenhaus heraus? kann man die Welt nun mal

nur teilweise begreifen."

"Ist mir auch lieber so", knurrte sie und kroch zur Seite.

Kurz darauf umschlangen den jungen Mann zwei Mädchenarme.

"Grete, meine Grete!"

"Woher weißt du, daß ich deine Grete bin? Du siehst mich doch

nicht."

"Meine Seele sieht dich. Und das ist ein so klares Bild, daß ich

das andere nicht brauche."

Sie gingen zu den Eltern. Freude und Erleichterung waren groß.

Auch hier wurde ein Fest gefeiert. Und die Hochzeit ließ nicht

lange auf sich warten.

Was aus Hans wurde? Er war bald ein geachteter Mann, der in

vielen Dingen um Rat befragt wurde.

Auch verstand er es,

packend und unterhaltsam zu erzählen.

"Schreib das doch auf", rieten die Leute. Und Grete nahm

Papier und Feder zur Hand, um die Geschichten ihres Mannes

festzuhalten.

Es wurde ein großes und schönes Buch.

********

Dieses Buch ist eines der zwölf Bücher der Magie, welche die Grundlange für das Reich der

Zauberer von Watzealec darstellen.

ENDE

© 2017 Worlds Collide. Alle Rechte vorbehalten.
Unterstützt von Webnode
Erstellen Sie Ihre Webseite gratis! Diese Website wurde mit Webnode erstellt. Erstellen Sie Ihre eigene Seite noch heute kostenfrei! Los geht´s