26. SOMMERSPIELE

Sommerspiele

(Die Ebene von Ur)

von Hermann Hildenbrand

Der einzige Kontinent der Ebene von Ur wird von einem riesigen Meer umspült, was jedoch überall an den Küsten und Stränden täglich geschieht, was für Wesen sich zwischen See und Land begegnen,

wird dabei nur wenig beachtet

.

Zum Beispiel er:

*

Nach einer langen Wanderung entlang des Strandes und der Dünen hat er es sich zwischen der letzten, feuchten Welle und dem ersten trockenen Sand bequem gemacht.

Erschöpft lässt er seine Seele baumeln und denkt bei der untergehenden Sonne an ein wundervolles Abendessen.

Da ist er schon eingeschlummert und träumt von seiner Gefährtin, die er irgendwo zwischen den Dünen verloren hat.

**

Zum Beispiel sie:

Besinnlich und ruhig lässt sie sich von den Wogen des Meeres treiben.

Hier mal eine Bewegung mit dem Oberkörper, dann mal ein leichter Schub mit dem Unterkörper.

Das ist alles. Ihre Gedanken sind noch bei dem Geliebten, den sie vor nicht langer Zeit irgendwo draußen verlassen hat.

***

Zum Beispiel es: Das ist das Wasser

Flut, vom Meereskönig heranbefohlen. In ständigen Wogen treibt es sich selbst an die Küste, überschlägt sich im schäumenden Wellen und verläuft spielerisch am trockenen Stand.

Bei jedem Ablauf etwas mehr.

Sie, die Schwimmende, bemerkt kaum den aufbäumenden Schlag der Welle.

Weitergetrieben von der auflaufenden Flut des Es endet sie schließlich neben dem schlafenden und träumenden er.

Sie traut ihren Augen nicht- eine Schönheit liegt da vor ihr, mit hart geschnittenen Gesichtsausdruck, langen schlanken Beinen und einen bräunlichen Körper, der von vieler Arbeit gestählt erscheint.

Sie ist verdutzt.

Erste Kontaktaufnahme.

Vorsichtig berührt sie ihn mit einem Teil ihres samtweichen Körpers.

Er schreckt aus seinen Träumen empor, das markante Kinn schiebt sich noch weiter nach vorn.

Seine Augen sehen ein, oft erdachtes Bild: ein liebliches Gesicht und einen Körper, der von einem hellgrauen, rötlich durchsichtigen Umhang verhüllt ist.

Sie reden sich an aber verstehen sich nicht, denn jeder hat seine eigene Sprache.

Nach ersten zaghaften Versuchen einer Verständigung mit Hilfe von Armen, Beinen, Blicken und Gesten wächst die Lust miteinander zu kommunizieren.

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Und mehr.

Bei jedem auflaufenden Wellenschlag kommt sie ihm ein wenig näher, bis ihn endlich mit ihrem weiten Umhang völlig umschlungen hat.

Um ihn herum wird es Nacht.

Nur eingeweihte Beobachter könnten die zwischen ihnen entstehende Glut bemerken, aber sie werden schwiegen.

Plötzlich ein schrecklicher Aufschrei, mit einer Kraftanstrengung riesigen Ausmaßes befreit er sich aus ihrer Umarmung und läuft, wie vom lodernden Feuer verzehrt, einige Schritte über den feuchten Sand und stürzt sich in einen kleinen Priel.

Mit einem unschuldigen Lächeln schaut sie ihn nach, leicht verwundert.

Es rollt heran und bereitet dem Treiben ein Ende.

Ganz locker lässt sie sich beinahe willenlos entführen.

Aus dem Priel erklingen laut und verständlich Worte in der Gemeinschaftssprache:

" Verdammte Alte, du giftige Feuerqualle!"

Und aus dem ablaufenden Wasser hört man ein Gegenecho:

" Du mickriger, kleiner Strandkrebs!"

Der Mond am Himmel, hoch über den Bäumen des Festlandes, verschwindet wie zum eigenen Schutz und lauter Scham hinter einer Wolke und überlässt das Geschehene sich selbst und der Natur.

C. by Herman Hildenbrand

Sommer 05

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