18. DIE ÜBERLEBENDEN

Die Überlebenden

von Bernd Krosta

(Die Ur-Ebene)

v. 1.800 Jahren

von

" Ich bin Nar'kon, zweiter Sprecher der Gemeinschaft von Har'konakpur, dem Festverwurzelten.

Großes Unglück ist über uns gekommen.

Eine Horde Kiras-Katzen hat die Baumgemeinschaft überfallen.

Wir waren um Har'konakpur versammelt, und jedes Mitglied wartete darauf, den Rikjkana zu betreten, um seinen Anteil der Lebensbringenden Kraft darzureichen.

Die Kiras brachen wie ein Unwetter über uns herein und töteten viele Tarh'minen. Schließlich ließen die Katzen von uns ab und verschwanden mit ihren Opfern.

Auch Sam'kon, der Baumleser war unter den Ermordeten.

So ist uns die Möglichkeit der Verständigung mit unserem Rijkana genommen worden

Wie sollen wir ihm mitteilen, die Aufnahme der Lebensbringenden Kraft zu beenden, ohne einen Angehörigen der Gemeinschaft zu gefährden oder gar zu töten?

Zu unserem Leidwesen akzeptiert er kein anderes Mitglied als Baumleser."

Sargen, der Rote begann am Himmel aufzugehen, und die lange Nacht in Oasis ging zu Ende.

Fröstelnd stand Tjelmen vor seinem Zelt und blickte über den großen See auf die hoch auf

ragenden Berge, tiefe Wolken verhüllten die Gipfel der Weltenmauer, welche Oasis einschloss.

*

" Ein böses Zeichen. Ihr solltet die Suche abblasen. Außerdem ist schon über einen Monat vergangen."

Resin, der Hexer des Wamara-Stammes war hinter Tjelmen getreten.

Trotzig drehte der junge Krieger sich um:

" Wir sind verpflichtet nach ihnen zu suchen. Immer wieder versuchst du, uns mit irgendwelchen schlechten Omen hinzuhalten. Kein Wunder, dass soviel Zeit vergangen ist.

Wir werden heute aufbrechen. Ich gebe nichts mehr auf deine Vorzeichen."Trotzdem schauderte es ihm, als nochmals zur Weltenmauer sah.

" Junge, willst du es denn nicht einsehen. Ihr werdet sie nicht mehr lebend finden. Der Stamm kann es sich nicht leisten, noch mehr Jäger zu verlieren."

Wortlos wandte Tjelmen sich ab und ging ins Dorf.

Vor knapp einem Monat war eine fünfzehnköpfige Jagdgruppe einer Barku-Herde gefolgt; nur Sina war der grünen Hölle entkommen.

Erst eine Woche nach ihrer Rückkehr hatte sich ihr Fieber soweit gesenkt, dass sie wieder ansprechbar war.

Und dann erzählte sie eine wirre Geschichte über kleine affenartige Kobolde, die die Gruppe überfielen und die anderen Mitglieder gefangen genommen oder getötet hatten.

Genaueres ließ sich aus der verwirrten Sina nicht herausbringen.

Wie durch ein Wunder konnte sie fliehen und nach tagelangem Herumirren wieder an den Großen See gelangen

.

Reisin blickte dem davoneilenden Tjelmen hinterher. Ein Gefühl von kommendem Unheil überfiel ihn.

Eine Zeit schwerer Prüfungen würde auf das Volk der Wamaras zukommen.

Die anderen vier Mitglieder der Gruppe erwarteten ihn am entgegen gesetzten Ende des Dorfes.

" Wo bliebst du nur, Tjelmen? Was wollte der alte Narr noch von dir?"

Ned grinste verächtlich.

" Wenn es nach mir ginge, hätte sich unser so genannter Stammeshexer schon auf den Weg in die Jagdgründe hinter der Weltenmauer begeben können."

Zorn zeigte sich auf Tjelmens Gesicht.

" Du weißt genau, dass ich auch nicht viel auf Reisin gebe, aber er ist ein guter Heiler und denkt nur an das Wohl des Stammes. Also zügle deine Worte, Ned."

Die Suchgruppe bestand aus Tjelmen, Ned, Dana, Dana, Radak und Sina., die zum Mitkommen überredet werden konnte, um den ungefähren Standort des Überfalls festzustellen.

Mit leichten Gepäck und bewaffnet mit Speeren brachen sie auf. Tjelmen gab einer kleinen Gruppe größere Chancen durchzukommen als einer großen Kriegstruppe.

Über Oasis lag noch ein dünner Dunstschleier, als die Gemeinschaft durch das kniehohe Gras lief.

Unterwegs scheuchten sie eine Tibu-herde auf, die wild in alle Richtungen davon stob.

Später erblickten sie in der Ferne weitere Gruppen der Büffeltiere.

Das hätte eine gute Jagd abgegeben, doch dazu blieb keine Zeit. Sie kamen über das Grasland gut voran und erreichten abends die Ausläufer eines Urwaldes an einem See.

Früh am nächsten Morgen brachen die Wamaras in den Wald auf. Dieser Tag im Licht Laroons des Gelben würde nur kurz sein und die darauf folgende Nacht umso länger, sie mussten sich beeilen.

" Sie sind zurückgekehrt. Es war gut, eines der Wesen entkommen zu lassen. Leider sind es nur sehr wenige. Ich befürchte beim nächsten Mal werden sie niemanden mehr schicken.

Doch diese hier werden ihre Lebenskraft den Rijkana geben.

Da er nicht gleichmäßig versorgt wird und kein Baumleser die Kontrolle hält, entzieht er jedem, der den Baum betritt alle Kraft und nimmt auch die Körper in sich auf.

Wir trauen uns nicht mehr in seine Nähe. So müssen wir andere Lebewesen opfern um sein und unser Überleben zu sichern."

Der Urwald war erfüllt von Geräuschen und Stimmen. Aber nur selten sah die Gruppe ein Tier.

Das Leben schien sich vor ihnen zu verstecken, und doch hatten sie das Gefühl aus tausend Augen beobachtet zu werden.

" Ha, unbeobachtet eindringen, die Vermissten befreien und dann weg - dass ich nicht lache. Wir scheuchen hier doch alles auf", maulte Ned.

" Ich finde, wir sollten lieber umkehren, so lange wir noch können" meldete sich auch Sina, während sie mit der Hand die allgegenwärtigen Insekten zu verscheuchen versuchte, die die Gruppe während des gesamten Weges quälten.

" Ich weiß sowieso nicht mehr weiter, hier sieht alles gleich aus."

" Nun beruhigt euch erstmal. Wir werden eine kurze Rast einlegen; und du Sina, versuchst dich noch mal an den genauen Weg zu erinnern", entgegnete Tjelmen.

Ein Geräusch ließ ihn herumfahren, doch es war schon zu spät. Die kleinen koboldartigen Wesen schienen aus den Boden zu wachsen und stürzten sich auf die erschreckten Menschen, die Wamaras hatten keine Chance.

Tjelmen erwachte mit schmerzendem Schädel.

Er versuchte sich zu rühren, aber seine Glieder waren von festen Seilen gebunden.

Vorsichtig öffnete er die Augen.

Er lag auf einer großen Lichtung, und dahinter stand der größte Baum, den er je gesehen hatte.

Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Das gewaltige Gewächs schien etwas Unheimliches auszustrahlen.

Die anderen Gefährten lagen neben ihm.

Die kleinen Wesen huschten um sie herum.

Sie sahen in etwa aus wie einen Meter große, nackte Affen, deren Haut sich ja nach Hintergrund zu verändern schien.

Tjelmen fröstelte, als er den Blick eines dieser Geschöpfe auf sich spürte.

Dana warf ihm einen verzweifelten Blick zu und wollte etwas rufen, aber nach dem ersten Ton erhielt sie einen Schlag gegen den Kopf und rührte sich nicht mehr.

Tjelmen glaubte zu erkennen, dass das Wesen welches den Schlag ausführte, von einem anderen dafür gescholten wurde.

Aber in den Knack und Zischlauten konnte er keinen Sinn erkennen.

Was hatten die Affenartigen mit ihnen vor?

Er schien eingenickt zu sein, aber plötzlich war Tjelmen wieder hellwach.

Entsetzt sah er, wie die kleinen Wesen die schreiende Sina in Richtung des unheimlichen Baumes schleppten und mit ihr darin verschwanden.

Dann verstummte ihre Stimme.

Kurze Zeit später wurde Ned ergriffen, der sich stumm und verzweifelt seinem Schicksal ergab.

Radak erging es ebenso.

Schließlich ergriffen sie ihn selbst; und zurückblickend sah er noch einmal die weinende Dana.

Sie trugen Tjelmen durch eine Öffnung hindurch in die gewaltige Aushöhlung des Baumes, die sich bis in den Wipfel zu erstrecken schien.

Überall waren Plattformen angebracht, auf denen sich aber nichts bewegte. Dicke gelblich leuchtende Adern durchzogen den ganzen Innenraum.

Seine Peiniger schleppten ihn weiter bis etwa zur Mitte des Stammes.

Ein riesiges Wurzelgebilde ragte vor ihnen auf.

Die drei affenartigen Wesen lösten Tjelmens Fesseln, dann verschwanden sie und ließen den verwirrten Wamara zurück.

Tjelmen sah ihnen nach, als eine Bewegung ihn herumfahren ließ. In der großen Wurzel hatte sich ein Eingang geöffnet.

Mit einem Mal war sein Wille ausgeschaltet; wie in Trance betrat er das Herz von Har'konakpur.

Dann war nichts mehr.

**

"Ich bin Tjel'kom, der Baumleser von Har'konakpur, dem Festverwurzelten.

Bis auf Dana sind meine Gefährten im Rijkana gestorben. Er saugte ihnen das Leben heraus

. Mich hat der Baum verwandelt. Äußerlich bin ich noch ein Wamara. Nur meine Haut leuchtet im gleichen Gelb wie die Adern des Baumes.

Har'konakpur strahlt wieder in gesunden Licht. Ich kann mich richtig mit ihm unterhalten.

Er muss das intelligenteste Wesen auf der Welt sein denke ich.

` Nein´, blinkt sein Leuchten, es gibt noch andere wie mich, Mächtigere und Weisere.´

Doch irgendwie bemerke ich Desinteresse in seinem Schimmern, als ob die anderen nicht von Belang für ihn wären.

Er bedauert den Tod meiner Gefährten.

Er hat leider nicht genügend Gewalt über sich.

Har'konakpur kann den Entzug der Lebenskraft von den Spendern ohne einen Baumleser nicht steuern.

Nachdem ich als Baumleser anerkannt wurde, war auch Dana nicht mehr bedroht.

Leider konnte ich sie nicht gehen lassen. Sie hätte Gefahr für die Baumgemeinschaft bringen können.

Mit mir wollte sie nicht mehr reden; mein Anblick verschreckte sie zu sehr; ich wünschte sie hätte bei uns leben können, aber in einem unbeobachteten Augenblick stürzte sie sich in einen Speer.

Wie es bei den Tarh'minen Brauch ist, übergab ich die Leiche an Har'konakpur.

Seltsam, ich fühlte nichts dabei.

Ich betraure nur das Leben, was unnötig verschied.

Aber mein Gefährten, mein ehemaliges Volk, sie bedeuten mir nichts mehr. Ich bin Tjel'kon, der Baumleser.

C. by Bernd Krosta

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